Schädelsammlung & Narrenturm

Forschungsaufenthalt in Wien

Auf Einladung des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung war ich 17.06.-21.06.2013 für einen Vortrag in Wien zu Gast. Mit Daniel Messner und Christoph Musik und ihrem Forschungsprojekt zu „Verdaten und Identifizieren“ waren da interessante Gespräche vorprogrammiert – im Besonderen die Zeit mit Daniel bei 38°C in Cafés und Biergärten sind mir in guter Erinnerung. Der Vortrag bei kaltem Sushi in der Mittagshitze der Bibliothek war eine echte Herausforderung und die Diskussionen mit Historikern und Technikwissenschaftlern eröffneten mir neue Perspektiven.

Neben dem wissenschaftlichen Austausch habe ich die Ausstellung und das Archiv des Rollettmuseums im nahe gelegenen Baden besucht und dort mit dem Museumsleiter und den Mitarbeiten über die Sammlung Franz Josef Galls gesprochen, der mit seinen Vermessungen des menschlichen Schädels als Begründer der Phrenologie gilt. Die gruselig anmutende Sammlung von Abgüssen, Büsten, Totenmasken und Schädeln verweist auf eine im 18. und 19. Jahrhundert weit verbreitete Überzeugung aus der äußeren Struktur des Schädels und Gesichts auf innere Charakteristika und psychische Dispositionen zu schließen zu können. Die Sammlung von 110 Büsten und 67 Schädeln ist in einem abgedunkelten Raum in historischen verglasten Holzschänken untergebracht, die bis unter die Decke reichen. Es gibt in der Sammlung keinerlei Messinstrumente, entgegen häufiger Einschätzungen über die vermeintliche Strukturiertheit und Exaktheit der „Schädellehre“ Galls, war dessen bevorzugtes „Werkzeug“ seine Hand – die gesamte flache Hand, nicht nur die Finger.

Der Leiter des Archivs sprach mit mir über die problematischen Exponate und seine Hass-Liebe zur Schädelsammlung des Dr. Gall. Mit einem Zitat zeitgenössischer Kritik, einem Graffiti auf Galls Wiener Hörsaaltür: „Hier lehrt ein leerer Schädel, leere Schädel, Schädellehre!“, verweist er auf die historische Distanz und die manchmal nötigen Galgenhumor, den es bräuchte sich mit der Sammlungsgeschichte auseinanderzusetzen. Er berichtet mir über eine spezielle Entdeckung: ein Schädel der nicht zuordenbar schien und 1973 „repariert“ und als „phrenologischer Schädel“ bemalt wurde, hat sich nach einigen Recherchen als ein im 19. Jahrhundert bei Grabungen entdeckter Kelten-Schädel entpuppt. So wurde ein altertümliches Objekt, das durch Verletzungen auf römisch-keltische Konflikte hinweist, zum Vorführobjekt Gallscher Schädelphantasien.

Überraschenderweise ergaben sich vor Ort Verweise auf das der Universität Wien zugeordnete Museum im so genannten „Narrenturm“, das historische medizinische Präparate in den Räumlichkeiten einer im 17. Jahrhundert gebauten Anstalt verwahrt und präsentiert. Es war die Pathologie dieser Institution, aus der sich Gall für seine Sammlung bediente. Beschriftungen wie: „Nr. 68, ‘Frau aus dem Narrenturm‘, 2 Jahre im Thurm, 32 Jahre alt, Hat ihren Mann umbringen wollen, 1265cm2, 725g“ weisen darauf hin.

Die Ausstellung des wie ein benthamsches Panoptikon anmutenden Gebäudes, das als Irrenhaus, Klinik und später zu Wohnzwecken genutzt wurde, konnte ich ebenso besuchen und mit den Mitarbeitern sprechen. Der Rundgang durch das als Museum geöffnete Erdgeschoß war verstörend, es scheint hier eine möglichst chaotische Aneinanderreihung von erschreckenden Objekten, Abgüssen und Präparaten angestrebt. Oftmals fehlen Beschriftungen und Kontextualisierungen, oder es ergeben sich durch bunt eingestreute präventiv-Pädagogik aus den letzten vier Jahrzehnten merkwürdige, oftmals problematische Beziehungen. In Gegensatz zum Rollettmuseum scheint hier aber keine Sensibilität gegenüber den Exponaten ihrer Geschichte und heutigen Wirkung zu bestehen. In den weiteren drei Stockwerken, so wurde mir gesagt, stapeln sich die Objekte und die Mitarbeiter haben alle Hände voll zu tun die Flüssigkeiten zur Präservation aufzufüllen um die Sammlung zu erhalten. Die Leitung des Museums hat kürzlich gewechselt, man wird sehen, ob es gelingt die Präsentation ins 21. Jahrhundert zu übersetzten.